Der Burgturm

[Morgenrot, Teil 1]

Eine dunkle Nacht, ein Burgturm:

Sein rechtes Knie schmerzte, in der eisernen Rüstung über Stunden am kalten Boden kniend waren die Gelenke steif und die Muskeln hart geworden. Doch der Schmerz hielt ihn wach und ließ ihm immer wieder bewusst werden, wieso er hier an diesem Bett kniete.
Sein Blick verweilte kurz auf ihrem langen, lockig braunen Haar. Sie war wundervoll im Mondlicht anzuschauen, sein Herz schlug jedes Mal schneller, sein Blut kochte und doch wusste er, dass er sie nie besitzen würde. Nie würde er sie an sich drücken können. Er war nur ihr stiller Wächter. Noch zuvor sie im Morgengrauen die Augen aufschlagen würde, wäre er wieder verschwunden.
Ihre Augen zuckten, die Träume kamen zu ihr und somit die Zeit des Kampfes für ihn. Er war bereit, wie jeden Abend stellte er sich ihren dunklen Träumen entgegen. Erschlug die Räuber und Orks, kämpfte gegen Drachen und Ungurs, zerschlug Schatten und vertrieb alles Unheimliche. Stunde um Stunde focht er gegen Monstern aus Träumen, keine Bewegung tat sein Körper und trotzdem sickerte Blut aus unzähligen Wunden zu Boden.
Im Morgengrauen waren die Kämpfe vorbei, ihre Atmung wurde wieder ruhiger und ihre Träume endeten. Er stand auf und schleppte sich zur Tür, die Diener würden die Spuren seines Blutes beseitigen. Wieder eine Nacht hatte er die Dämonen von ihrer Seele ferngehalten. Eines Tages würde sein Dienst enden oder er im Kampfe sterben. Doch so lange er lebte, würd er für ihre Reinheit kämpfen. Er liebte sie.

Eine weitere Nacht, derselbe Burgturm:

So lange hatte er auf diesem Tag gewartet, viel zu lange und schon fast jede Hoffnung aufgegeben. Doch der Tag war gekommen. Die eisernen Ketten seiner Gefangenschaft, die er mit jedem seiner Schritte über den Boden schleifte, hatten tiefe Furchen hinterlassen. Er berauschte sich am Klang seiner eigenen Gedanken und kicherte leise bei der Vorstellung, wie es sich wohl anhören würde, sie laut auszusprechen.

Sein Gefängnis war nur wenige Schritt groß und nur so hoch, dass er gebückt stehen konnte. Es gab keine Tür, kein Fenster und keinen Schacht, nur harten kalten Stein. Dunkelheit war der ewige Begleiter. Nicht einen einzigen fremden Ton hatte er über die letzten Jahre vernommen.

Doch jetzt hörte er es, er hörte einen Ton. Das stetige Klopfen eines Gegenstandes auf Stein, die Waffen seiner Befreiung. Pickel und Schaufel, geführt von einer namenlosen Hand, ein namenloser Retter der sich seiner Gefangenschaft erinnerte.

Stunden vergingen und trotz dessen, dass er in den vielen Jahren wirklich Geduld gelernt hatte, wurde er unruhig. Was hätte ihn auch auf diesem Tag vorbereiten sollen? Das Hämmern kam näher, die schweren Fesseln schabten unruhig über den Boden und waren ein deutliches Zeichen seines Herzschlages. Ein Krachen erfüllte den Raum, der Pickel hatte die Wand durchschlagen und jetzt drang Licht herein. Die Augen schmerzten unerträglich, doch er wendete den Blick nicht ab, genoss den Schmerz und sog ihn in sich auf. Frische Luft strömte in den Raum und füllte seine Lungen.
Dann sah er die Person, die ihn befreite. Ein kleines hässlich verunstaltetes Männlein stand vor ihm und grinste breit. Seine verfallenen schwarzen Zahnstumpen und sein Buckel zeugten vom körperlichen Verfall.

Er fand seine Stimme wieder, die frische Luft gab ihm Kraft: „Bruder Eifersucht, du hast mich aus diesem Gefängnis befreit. Lass und Herrschen.“ Und das hässliche Wesen antwortete: „Bruder Wahnsinn, komm, es gibt viel zu tun.“

Dieses elende Menschenweib. Viel zu lange hatte ein Wächter ihn in ein Verlies gesperrt und jeden Versuch zu fliehen, mit Schwert und Schild unterbunden. Hass und Neid, Eifersucht und Wahnsinn unterdrückt, doch jetzt würde dieses Menschenweib endlich lernen, was diese Worte bedeuten.

Der Wächter war gefallen. Ein Dämon hatte ihm sein Horn durchs Herz gestoßen. Alle Hürden zu ihrem Herzen waren gefallen.

Sie erwachte und ihr Herz schlug wie im Wahn. Auf ihren Lippen spielte ein wundervoll grausames Lächeln. Sie erinnerte sich nun an alles und ihr Blick fiel auf die ihre Hände. Bleich waren sie und wieso sollten sie auch nicht? Sie war schon vor Jahren gestorben und nur der Wächter, der nun tot, in seinem eigenen Blut neben ihrem Bett lag, hatte die Dunkelheit und die Wahrheit von ihr ferngehalten. Jetzt sah sie endlich alles wieder klar. Ihre nackten Füße berührten den Boden und das warme Blut wärmte sie. Mit leisen Schritten schlich sie zur Tür und öffnete sie und schlich durch die Burg. Rote Fußspuren verrieten ihren Weg.

Sie schleicht tiefer hinab, hinaus aus dem Turm und zu den Haupträumen der Burg. Die meisten derer, die ihr begegnen, sterben zuvor, sie wissen, was geschieht, sie bricht ihnen den Hals, verdreht Glieder, zerbricht Waffen und zerschlägt Rüstungen. Die Herrin hatte ihr Macht versprochen, endlich hatte sie die Macht und war nicht nur Frau, sondern Kriegerin. Das Einzige, was sie zu tun hatte. Den schwarzen Dolch ihres Vaters nehmen und zu ihr bringen. Er fühlte sich warm in ihren Händen an, selbst die kalte Nacht konnten seine Wärme nicht vertreiben.

Dieselbe Nacht, dieselbe Burg:

Hekerd stand seit Stunden gelangweilt am Tor. Es war eine eisige Nacht und es wurde niemand erwartet, somit wusste er das seine Wache langweilig sein würde. Er hüllte sich tiefer in seinen Mantel ein und zappelte von Bein zu Bein. Noch knapp eine Stunde, dann konnte er endlich Manuel wecken und sich ein wenig im Wachhaus aufs Ohr hauen. Bei Piun, wie er diese ewigen Wachen hasste. Wieso hatte er auch den Hund des Herren schlagen müssen, hätte ihn dieses dreckige Vieh doch nur in Ruhe gelassen. Er sah sich kurz flüchtig um, dass ihn auch niemand hörte und fluchte ein paar mal kräftig.

Es dauerte ein wenig, bis er reagierte. Es hatte sich doch gerade etwas am Haupthaus bewegt, oder? Er sah nochmal hin und war sprachlos. Die Herrin Efthimía ging auf ihn zu. Ihre Haut schimmerte im Mondlicht und sie war nackt. Nichts bedeckte ihren perfekten Körper. Er wusste ja, wie ihr Gesicht aussah, also konzentrierte sich sein Blick auf ihre Brüste. Er wollte sie schon immer haben und jetzt kam sie zu ihm. Nackt, wundervoll und nur noch wenige Schritt entfernt. Ein kurzer Blick in ihr Gesicht und er sah ihr berauschendes Lächeln. Ja, sie wollte ihn! Den Dolch ihn ihrer rechten Hand bemerkte er zu spät, er spürte den Schmerz und wollte schreien, doch dort wo seine Zunge sein sollte, war nur noch ein harter Knochen. Mit seinem letzten klaren Gedanken fragte er sich, was hier wohl vorging.

Ein glänzendes Wesen mit knochigen Platten lief nun hinter ihr. Der Dolch war nützlich, gut, dass die Herrin so vieles erklärt hatte.

Sie fragte sich kurz, welcher Gott wohl durch diesen Dolch sterben müsste. Aber es war auch egal, sollten alle sterben, solange sie unter den Menschen eine Göttin und Kriegerin war, sollte ihr alles gleichgültig sein…