Die Wege des Lichts

[Der Krieg, Teil 1]

Der Umschlag des Buches war aus schwerem, dicken und dunklem Leder. Das Tier, das dafür sein Leben lassen musste, war seit Jahrhunderten ausgestorben. Ein „Rendarn“, ein magisches Wesen, gezeugt in einem der vielen Kriege der Magier. Der Zweck dieses Tieres war lange vergessen. Allein um dieses Tier zu erschaffen waren mindestens zehn hochbegabte Magier ins Grab gegangen und mindestens hundert waren bei der Jagd darauf gestorben.

Der Einband veränderte, wann immer es ihm passte, seine Farbe, manchmal Jahre nicht, dann im Sekundentakt. Er war manchmal dick und schwer, manchmal dünn und leicht. Er war schneidend, kalt und brennend heiß und in den schlimmsten Zeiten beides zugleich.

Die einzelnen Seiten waren handgeschöpft, hergestellt aus einer Pflanze, die nur für diesen einen Zweck, diese Seiten zu erschaffen, gezüchtet worden war. Jede einzelne Seite war über viele Jahre behandelt worden, jede beinhaltete einen Zauber, einer mächtiger als der andere. Jede Seite einen Schutzzauber, eine Prüfung, um sie vor Schwächlingen verborgen zu halten. Diese Seiten dienten nur einem Herren, dem, der sich als Meister herausstellte.

Das Schloss bestand aus einem goldenen Metall, es war hart und unzerbrechlich, man sagte tausend Zwerge könnten tausend Jahre darauf hämmern und es würde keine Scharte zeigen. Einst soll die Klinge Valirians daran zerbrochen sein. Dieses Metall war mit der Kraft und dem Wohlwollen des Lichtbinders entstanden, seine eigene Macht lag in diesem Metall.

Seine alte, faltige Hand strich sanft über den Einband. Welch Schatz er hier in den Händen hielt, war ihm sehr wohl bewusst. Jahre hatte er darum gekämpft, der Vorsteher des Lichtes zu werden. Nun dienten ihm die Inquisition, die Krieger Valirians und die Spione der Zaralka, sowie alle anderen Eliteeinheiten der Götter und ihrer weltlichen Manifestationen, sei es in Tempel oder Akademia.

Er war der Meister dieses Buches, sein ganzer Kampf um den Aufstieg, um die Macht war niemals seinem Glauben oder seiner Überzeugung geschuldet. Die Götter scherten ihn nicht. Er wollte dieses Buch in den Händen halten, nun war es endlich so weit. Endlich, nach fast 60 Jahren konnte er endlich darin lesen und ihm war alles Wissen Gerbalons zugänglich. Alles, was je geschrieben wurde. Er würde alles wissen!

Er war der neue Meister des „Silea“, dem Allerersten.

Er schlug das Buch auf, die Seite, die sich ihm öffnete, war aus schwarzem Pergament und mit blutroter Schrift versehen.

„Meister des Lichts, euer Herz ist dunkler als diese Seiten.“
„Euer Weg des Lebens blutiger als diese Schrift.“
„Ihr seit kein Meister, ihr werdet nie einer sein.“
„Ich bin das Silea“
„Ich bin das Erste.“
„Ich diene nur dem Meister.“
„Der Gläubige wird in die Irre geführt“
„Der Unfähige wird zerstört“
„Eure Macht gehört nun dem Silea, ich bin das Erste.“
„Die Dunkelheit holt eure Seele.“

Das waren die letzten Worte, die er las. Bis ins Tiefste erzürnt, wollte er das Buch ins Feuer des Kamins werfen. Doch es bewegte sich nicht, die Schrift war weg, die Seiten nur noch Schwarz. Er starrte auf diese Seiten, er spürte die Dunkelheit in diesen Seiten. Sie kam und sein Licht erlosch.

Viele Stunden später fand ein junger Diener den Meister des Lichts, den obersten aller Orden, tot auf dem Boden.

Viele Jahrhunderte wehrte der Orden des Lichts, doch im Streit um die Nachfolge des plötzlich Verstorbenen zerbrach er und wurde nicht wieder gegründet, bis er nichts weiter war als eine alte Legende, das Wissen um ihn verwoben zwischen Lügen, Wahrheit, Fantasie und Wahn.

Eins aus dieser alten Zeit ist erhalten geblieben, der Zusammenhalt zwischen den Kriegsorden der Götter.