Die Wege der Dunkelheit

[Der Krieg, Teil 2]

Die Lüge der Dunkelheit

Ein Kindermärchen, Autor und Erzähler unbekannt.

Ein einsames Mädchen lief nachts in den Wald. Es war bitterkalt und der Nebel lag schwer auf der Erde. Die Tränen liefen dem Mädchen heiß und bitter über das wunderschöne junge Gesicht. Schon oft war sie von ihren Geschwistern gehänselt und verspottet worden, doch heute zur Bettgehzeit war es einfach zu viel.

Ihr Vater war gerecht und lieb und wenn er von seinen langen Reisen kam, so hatte er immer ein Geschenk für jedes der neun Kinder dabei. Da die Kinder ihn so liebten, beschlossen sie ihm auch etwas zu schenken, etwas Großartiges, an dem er sich lange erfreuen konnte. So ging jeder der Neun daran, etwas für ihn zu basteln, ein jeder seiner Begabung nach. Es dauerte Wochen und als der Vater seinen Geburtstag feierte, gaben sie ihm die Geschenke. Nur Sie, Sie hatte nichts, Ihr wollte nichts gelingen, keine Ihrer vielen Ideen wollte so recht werden, nichts gefiel Ihr. So hatte sie für ihren Vater an diesem Tag nur eine hässliche kleine braune Figur aus Ton. Als sie die Hand ausstreckte, um sie ihrem Vater zu überreichen, lachten ihre Geschwister so laut über sie, dass sie sich erschrak und schämte. Sie ließ die Figur auf den Boden fallen und dort zerbrach sie in tausend Scherben. Sie schämte sich und hasste ihre Brüder und Schwestern, ohne auch nur ihren Vater in die Augen zu sehen, lief sie aus dem Haus hinaus, hinaus in die Dunkelheit.

Nun stand sie hier, die Tränen heiß, die Dunkelheit um sie herum. Noch nie war sie im Wald alleine. Sie genoss es, hier und jetzt war sie die Herrin. Niemand quälte sie, niemand trat nach ihr und niemand lachte über sie. In ihren kindlichen Gedanken überlegte sie, ob sie wohl im Wald leben könnte und nie mehr nach Hause zurückkehren müsste. Wo wohl die Höhle lag, von der ihre Brüder immer sprachen und zu der sie keins der Mädchen mitnehmen wollten? Dort könnte sie sicher gut leben. Sie wollte nur die Liebe ihres Vaters, wollte ihm doch nur ein Geschenk machen, wieso war sie nur so unbegabt? Wieso wollte ihr nichts gelingen? Sollten ihre Geschwister doch sterben, ihr war es egal. Sollte ihr Vater sie doch hassen für dieses dumme Geschenk, ihr war es egal.

Einsam und tief in ihren Hassgedanken versunken bemerkte sie zuerst nicht das Wesen, das sich ihr näherte. Doch als das Wesen ganz nah war, gefährlich nah, da bemerkte sie ihn. Ein Fuchs, sein Fell jedoch ganz dunkel, er verschwamm mit der Nacht und deren Schatten. Aber sowohl seine Haltung als auch sein Fell verrieten ihr eins, er war ein verschlagener und grausamer Jäger. Zuerst hatte sie Angst und wollte weglaufen, doch sofort erkannte sie, dass der Fuchs, wollte er sie fressen, das schon lange getan hätte. So blieb sie stehen und hoffte, dass er einfach wieder ging, wünschte sich ihren Vater herbei. Doch dieser kam nicht und schon wieder war da diese Wut auf ihren Vater.

Der Fuchs war nun ganz nah, er schwänzelte um ihre Beine. Sein Körper gab tröstende Wärme von sich, es tat gut jemanden hier zu haben. Da hörte sie eine Stimme, der Fuchs sprach zu ihr:

„Mädchen, du musst doch keine Angst haben, was ist denn nur los? Wieso laufen Tränen deine wundervollen Wangen hinab?“

Das Mädchen antwortete ihm, erzählte ihre Geschichte, noch immer in Angst, dass er sie fressen würde, sollte sie nicht das tun, was er will. Doch da antwortete der Fuchs:

„Du musst dir keine Sorgen machen, keine Angst, ich will dir nichts tun. Ich bin hier, um dich zu trösten. Erzähl mir ruhig deine Sorgen und ich will sehen, was ich für dich tun kann. Bleib eine Weile bei mir, den auch mich behandelt man oft schlecht. Ich bin ein Fuchs im schwarzen Fell, keiner will mich, jeder jagt mich von seinem Hof. Komme ich, so hagelt es nur Tritte. Mit Feuer und Fackeln jagen sie mich. Ich weiß, wie du dich fühlst.“

Noch lange dauerte das Gespräch zwischen dem Fuchs und dem Mädchen. Das Mädchen fühlte sich endlich verstanden, endlich gab es jemand, der ihr zuhörte. Nicht wie ihre Brüder und Schwestern, die sie immer nur hänselten, oder ihr Vater, der ständig auf Reisen ging.

Sie hatte einen Freund. Sie ging nicht zurück zu ihrer Familie. Der Fuchs zeigte ihr eine Höhle, dort konnte sie schlafen und war in Sicherheit. War sie müde, so wachte der Fuchs über sie, hatte sie Hunger, so jagte der Fuchs für sie. Sie hatte keine Sorgen, den sie hatte den Freund Fuchs. So lebte sie viele Wochen und Monate mit dem Fuchs im Wald. Es ging ihr gut und sie dachte nur noch mit Hass an ihre Geschwister.

Doch eines Abends geschah es, sie war zusammen mit Fuchs im Wald unterwegs und wollte noch Beeren sammeln. Fuchs sagte, der Winter komme bald und dann müssten sie viele Beeren in der Höhle haben, sonst würde sie hungern müssen. Da hörte sie die Stimme ihres Vaters durch den Wald schallen, sie klang tief und trug weit, erfüllt vor lauter Traurigkeit, Sehnsucht und Sorge. Sie hörte ihren Vater und eilte ihm entgegen. Ihre Geschwister waren ihr einerlei, doch ihren Vater vermisste sie. So lief sie so schnell sie konnte und Fuchs war bei ihr, lief mit ihr. Da sah sie ihren Vater, er lief zwischen den dichten Bäumen umher, eine schwere Sturmlampe in der Hand, er rief ihren Namen, rief, dass er sie liebte, sie vermisse und ihr Geschenk wundervoll fand. Er rief, dass ihre Geschwister sich bei ihr entschuldigen würden. Immer und immer wieder rief er nach ihr und ihr Herz war froh.

Doch da Sprach der Fuchs:

„Viele Monate warst du nun bei mir, ich habe für dich gesorgt wie für mein Kind, immer war ich für dich da, nie ging ich weg und nun willst du mich verlassen? Gehst du nun zurück zu deinem Vater, so will ich nicht mehr dein Freund sein, nie wieder sollst du mich sehen!“

Da stand das Mädchen vor der Wahl, lange stand sie da, unfähig ein Wort zu sagen, sah ihren Vater sie suchen und konnte nicht verstehen, dass er sie nicht fand. Er musste sie doch sehen. Seltsam wahren ihre Gefühle, den Fuchs hatte recht, er war immer für sie da. Ihren Vater hatte sie nur wenige Male nach seinen Reisen gesehen und immer um seine Liebe kämpfen müssen.

Da drehte sie sich um und ging in die Dunkelheit des Waldes. Ihr Vater, sah nun endlich seine Tochter, sah ihren Rücken und wie sie tiefer in den Wald ging, er rief nach ihr, doch sie verschwand in der Dunkelheit.

Der Fuchs jedoch lächelte bei sich. Nun würde niemand mehr nach dem Mädchen suchen, niemand würde fragen, wo es hingekommen ist. Er führte sie zurück zu seiner Höhle und sagte:

„Nun bin ich sicher, deine Liebe gehört mir“,

und dann frass er sie mit Haut und Haar. Ja, er verschlang sogar die Knochen. Nachdem er sie gefressen hatte, schmatze der Fuchs und sagte.

„Satt bin ich, den das wahre festmahl ist das treue Herz.“

So Kinder lernt daraus. Den Verführungen des Bösen und der Dunkelheit kann jeder erliegen, doch erinnert euch immer daran, am Ende wendet es sich gegen euch und frisst euch. Nur wer sein Leben lang dem Lichte dient und nicht der Versuchung erliegt, kann in die Lichhallen der Götter gehen. Wer dem Dunkel dient und Böses tut, dem sein Herz wird für immer in der Dunkelheit erlöschen.