Die verschwundene Stadt

[Der Krieg, Teil 8]

Seit Tagen tobt der Kampf, die Stadt schläft nie. Seit wir hier sind, weit ab von dem Ort, an dem wir eigentlich sein sollten, wissen wir, wie mächtig sie ist. Ihre Pläne liegen offen, jeder hörte es und doch können wir nichts tun. Wir haben uns verschanzt, eine Barrikade um das Haus des Lebens und den Tempel des Schwertes gebaut. Wären doch noch die Zwerge hier, sie hätten uns bei der Verteidigung helfen können, doch wir haben sie weggeschickt.

Am Tag als wir hierherkamen brach natürlich Panik aus, niemand wusste zuerst was passiert war und wo wir waren. Doch dann schallte ihre Stimme durch die Stadt, sie hielt eine Ansprache und besiegelte damit das Ende der Welt. Und es begann mit dem Löschen des ewigen Lichts auf der Spitze des Lichtbindertempels. Danach war es still. Keine Schreie, keine Panik, alle hatten abgeschlossen mit ihrem Leben. Als die Untoten kamen, starben sie stumm. Es gab keine Hoffnung mehr, aufzugeben und wie in Trance auf das Ende zu warten schien das richtige zu sein, bis eine einzelne Glocke läutete. Es war die Glocke des Hebrintempels, dort hatte sich der Hohepriester ein Herz gefasst und tat seines Gottes Werk. Die Menschen erwachten, packten, was sie konnten und eilten zum Tempel. Wenn es nur den Hauch von Hoffnung gab, dann dort. Viele fielen auf dem Weg dorthin, die Untoten waren schon zu weit in der Stadt verteilt und die Straßen färbten sich rot. Tagelang wurden Kämpfe gefochten, die Bevölkerung zu verteidigen, aber für jede überlebte Nacht nahm der Feind einen anderen Stadtteil, bis nur noch der Hebrin- und der Valiriantempel übrigblieben. Die Priester der Hoffnung heilten die Bevölkerung und die Diener des Feuers, die alles taten, um die Menschen zu schützen.

Die Barrikaden stehen noch, wir können schnell und sicher von einem Tempel zum anderen, aber morgen werden wir nicht mehr leben. Wir sind zu wenige und die Herrin hat ihre fürchterlichsten Kreaturen gerufen. Schlafen wir, sterben wir, denn wer schläft, tritt Blut aus den Augen, erhält unnatürliche Wunden und erliegt ihnen schließlich. Bleiben wir wach, kämpfen wir gegen Untote in schwarzen Rüstungen, angeführt von einem Ungur. Und immer mehr werden kommen, bis wir alle vernichtet sind. Die wenigen, die noch etwas tun können, sitzen hier mit mir an einem Tisch, Anhänger aller Gottheiten in allen Ständen. Bewohner und Besucher von Leifrin, vereint im Überlebenswillen. Es ist kurz nach Mitternacht und wir nehmen ein karges Mal. Es würde zu lange dauern um jede Geschichte und jeden der Anwesenden zu beschreiben, Zeit, die ich nicht habe, denn der Tod steht ins Haus. So gern ich jeden von ihnen ehren würde, es geht nicht und das bricht mir das Herz. Zumindest ihre Namen möchte ich hier auflisten:

Schwester Ailane, Priesterin des Hebrin, Heilerin, aus Leifrin Reich der Raidamon
Alira, Magd, aus Leifrin Reich der Raidamon
Schwester Amanda, Priesterin des Hebrin, aus Castera Reich der Raidamon
Amo Tassonson, Händler, aus Bachstadt Reich der Stauber
Bruder Arthas Einauge, Priester des Valirian, Reich der Kesleos
Belana, Heilerin, aus Schwarzstein, Reich der Adriwu
Callistra Massador, Magierin, Reich der Südlande
Dilara, Magierin der Hawa, aus Wiesenthal Reich der Borea
Bruder Hanok, Priester des Valirian, aus Leifrin Reich der Raidamon
Inusan, Reisender, aus Sumpfloch Reich der Adriwu
Jinak, Stadtwache, aus Leifrin Reich der Raidamon
Khalil, Krieger, Reich der Südlande
Linoran, Ritter, aus Tonraga Reich der Stauber
Schwester Marlena, Priesterin der Hawa, Reich der Borea
Nesíreä, Gelehrte, aus Aeryst Reich der Elben
Ovis, Reisender, Reich der Dionmat
Prioran, Magier der Zaralka, aus Pechdorf Reich der Adriwu
Rondra, Heiler, aus Hochbaum Reich der Herakler
Sawad Anisson, Krieger, aus Leventis Reich der Herakler
Tesonar, Stadtwache, aus Leifrin Reich der Raidamon
Thomas, Krieger, aus Liqua Reich der Schilla
Tschi, Kehrer, aus Leifrin Reich der Raidamon
Ullrik, Krieger, aus Leifrin Reich der Raidamon
Vilessa, Priesterin der Hawa, aus Leifrin Reich der Raidamon
Wieland Sujuns Sohn, Reisender, Reich der Stauber
Xenoros, Stadtwache, Leifrin Reich der Raidamon
Zukom, Krieger, aus Flohdorf Reich der Adriwu

Dies waren meine Tischgenossen, andere waren draußen und patrouillierten oder kümmerten sich um die schwer Verletzten. Eine Szene, die in dieser Nacht geschah, möchte ich aber noch beschreiben, denn jene, die an Valirian glauben, schien sie sehr bewegen. Bruder Arthas stand auf und bat den stummen Mann neben sich auch mitzukommen, ohne auch nur die geringste Aufforderung kamen Callistra Massador und Sawad Anisson mit. Sie gingen nur ein paar Schritte und erst beachtete sie niemand, aber der Bruder erhob seine Stimme und alle Anhänger seines Gottes richteten bei den ersten Worten ihre Blicke auf ihn.

Narhu Akbhar!
Du bist mein Schwert, du bist mein Schild.
In deinem Namen kämpfe ich, in deinem Namen sterbe ich.
Du bist die Flamme, die die Welt verschlingt,
sodass sie sich aus der Asche neu erhebt.
Du bist ein Namenloser, doch es ist Zeit einen Namen zu nennen, denn er ist verdient.
Valirian ist groß!
Narhu Akbhar!

Und die anderen Gläubigen dieses Gottes stimmten bei den letzten Worten mit ein. Ich hatte zuvor noch nie davon gehört, dass ein erwachsener Mann keinen Namen hatte, doch für diese Leute schien, dass einen Sinn zu haben. Sie sahen den Getauften an, klatschten oder klopften auf den Tisch. Für kurze Zeit war, zumindest für sie, die Hölle um uns vergessen. Da taufte der Priester ihn im Namen Valirians und des Lichtbinders auf den Namen Khalil, es bedeutet Freund und ist auf ein altes Sprichwort bezogen „Ein naher Freund ist besser als ein ferner Bruder.“

Die Sonne geht auf, es ist so weit, der letzte Tag bricht an. Lange wurde diskutiert, bis man sich auf einen Plan einigte. Es wäre sinnlos, wenn wir hier alle sterben sollten, also beschlossen wir die Glocke des Hebrintempels zu läuten. Der Feind würde kommen und diejenigen, die kämpfen konnten, würden die letzte Schlacht antreten, während dieser Ablenkung sollten die Wehrlosen durch den Valirantempel aus der Stadt fliehen und versuchen sich irgendwie wieder zurück in die Heimat durch Zuschlagen. Aus der einzigen Kaiserstadt blieben nur noch knappe drei Dutzend Zivilisten. Ritter Linoran würde sie mit Schwester Ailane, Ullrik, Tesonar, Jinak und Prioran begleiten, der Rest blieb hier und kämpfte. Ich selbst sollte als „Chronist“ eigentlich mitgehen, aber ich habe mich dazu entschlossen, die Glocke zu läuten. Vom Turm aus werde ich alles sehen und alles aufschreiben, irgendwer soll einmal diese Seiten finden und wissen, was hier passierte, auch wenn es mein eigenes Ende bedeutet.

Wie kann ich diese Worte nur zu Papier bringen? Tränen geißeln meine Augen und nehmen wir den Blick in die Stadt, einen Blick den ich mit jedem Blinzeln aufs neue bereue. Sie sterben, sie alle sterben für Menschen, die sie kaum kennen, um der Ehre und der Hoffnung willen. Ich sah nicht alle.

Als ich die Glocke läutete, begann es, ein Brüllen kam vom ehemaligen kaiserlichen Palast und das dunkle Heer marschierte durch die Straßen. Unter mir begann der Ausfall und die Tapferen stießen in die Stadt vor, um die Truppen auseinander zuziehen und abzulenken. Als Erstes fielen Xenoros und Vilessa, nachdem sie in die Bächleingasse getrieben wurde, ich sah sie nicht, hörte aber ihre Schreie. Die Götter sind ihnen dankbar für ihr Opfer. Kurz darauf sah ich Bruder Hanok, Rondra und Wieland, die um den Brunnen herum fochten. Ihre Waffen glühten rot und ließen die Untoten zu Asche zerfallen und selbst als der erste Ungur auftauchte, schafften sie es zu dritt zu bezwingen. Doch danach wurden sie eingehüllt von schwarzem Nebel und sie waren tot als dieser verging.

Nun sind auch Belana, Amo und Thomas gefallen, sie schafften es auf ein Dach der nahen Taverne. Waren verzweifelt, Amo warf sich auf die Knie und begann zu beten, doch niemand kam. Sie begannen nur plötzlich alle drei zu schreien, solange bis Blut aus ihnen heraustrat. Ich weiß nicht welche Macht sie uns entgegenwirft und mit jeder Sekunde zweifle ich mehr an meinem eigenen Glauben, aber…

Zukom und Ovis hatten Fallen aufgebaut in den engen Gassen der Stadt, und fiele, sah ich zuschnappen, sie selbst flüchtete zu zweit, um die größeren auszulösen. Unter vielen Dächern, Balken und anderem Schweren wurden ihre Feinde begraben, doch Zukom wurde irgendwann eingeholt. Ovis selbst sah ich in der Ferne noch am Lysttempel stehen, er winkte mir zu, bevor er ins Wasser des Tempels stürzte. Ihm folgte eine Explosion, die den halben Tempel wegriss und sein Wasser flutete die Straßen der Umgebung. Diese beiden tapferen Männern hatte sogar an Seefeuer gedacht und dort wo Wasser war, war nun Feuer. Sie sollen gefeiert werden.

Wie kann ein einzelner Mensch nur so etwas ertragen, so viel Leid aufsaugen und nicht wahnsinnig werden? Schaffe ich es wirklich diese Gräuel dokumentieren? Sawad und Schwester Marlena haben nun auch ihr Leben gegeben, sie fochten in den Gärten nahe dem Flammenmeer beim Lysttempel, trieben ihre Feinde mit Wind und Schwert ins Verderben. Langsam aber sicher wurden sie eingekesselt, doch sie hielten stand. Dann trat ein Wesen auf den Plan, das aus der Hölle selbst stammen musste. Ein Hüne, bestehend aus fünf Männern, einer seiner Arme bestand aus einer Axt, die mit jedem Schlag schwarz glühte. Der erste Hieb riss Marlena entzwei und ich sah den einsamen Sawad gegen das Monstrum kämpfen. Schließlich war hinter ihm das Heer aus Skeletten und vor ihm dieses Übel mit dem Flammenmeer im Rücken. Wüsste ich doch noch, was er uns noch sagen wollte, aber es ist unmöglich. Das Schild wegwerfend erhob er sein Schwert mit beiden Händen und stieß es seinem Feind in den Magen, drängte es zurück und stürzte sich zusammen mit ihm ins Feuer.

Für einen kurzen Moment sah ich Inusan und Alira vorbeihuschen, doch ich weiß nicht, ob oder wie diese beiden ihr Ende fanden. Bei allen Göttern, ich hoffe, sie schafften es noch raus.

Callistra und Dilara konnte ich lange folgen, viel zu lange. Denn diese beiden entfesselten einen Sturm der Magie, der unzählige Feinde vernichtete. Sie begannen ihren Kampf am kleinen Thondoplatz, doch je später die Stunde, umso größer wurde der Platz. Ihre Magie riss alles weg, bis sie nur noch auf einem Haufen Asche kämpften. Sie fochten erbittert und auch sie umgab der schwarze Nebel. Blitze in allen Farben durchzogen dieses Gespinst, doch wurde er immer wieder gesprengt durch Wind und Feuer. So offenbarte sich der wahre Feind, eine Gestalt in Kapuzenmantel auf dem Rücken einen Holzstab mit allerlei daran hängen. Plötzlich schrien die beiden auf und unter der Kapuze des Feindes glomm es grün. Callistra jedoch, ging Schritt für Schritt nach vorne, ihr Gesicht schälte sich vom Schädel, doch sie ging weiter und fasste in die Kapuze. Das Wesen ging in Flammen auf und die Streiter auf dem Aschefeld waren tot.

Schwester Amanda kam schreien angelaufen, denn sie kannte Dilara sehr gut, Khalil folgte ihr. Amanda gab in diesem Moment auf, so sehr Khalil an ihr zerrte, sie umklammerte Dilara. Die Trauer übermannt sie, es ist nur eine Frage der Zeit bis es mir auch so geht. Der Südländer lief alleine los, in Richtung des ehemaligen Kaisertempels, er holte Nesíreä, Tschi und Arthas sogar ein. Aber nicht für lange, sie wurden eingekesselt, es schien auf das letzte Gefecht zuzugehen. Dann erschien ein heller Blitz, ich konnte nichts mehr sehen, als es verging, sah ich Khalil alleine kämpfen. Auch ein Schwert glühte rot und er wütete unter den Feinden, während seine Kameraden weiter in Richtung des Throns eilten.

Ich weiß nicht, wer dieser Mann war, der bis vor kurzem noch keinen Namen hatte, aber er schien wahnsinnig zu sein. Mit zwei Schwertern lief er einfach in die Truppen hinein. Erst hatte ich nicht erkannt, warum, bis sein Ziel eine Hauswand einschlug. Ein Ungur, zumindest sahen seine Umrisse danach aus, doch waren seine Umrisse verschwommen und statt zwei hatte er vier Arme. Auch an dem spurtete er vorbei, er schrie, schlug um sich und zog alle Truppen des Bezirks hinter sich her. Mir ist nicht klar, wie viele dieser Mann tötete, aber darunter waren 3 Skelette, die mindestens 2 Mann groß waren und den ungewöhnlichen Ungur. Als dieser ihn auf ihn zu sprang, konnte er ihm das Schwert durch den Hals rammen, aber die Arme seines Feindes durchbohrten seinen Körper. Er schaffte es sogar ein letztes Mal sich aufzurichten und seinen Feinden etwas entgegen zubrüllen bis er unter ihrer Masse verschwand.

Die letzten, die ich sah, waren Nesíreä, Tschi und Arthas. Sie hatten es bis zum ehemaligen Kaiserpalast geschafft, liefen durch das Tor. Ich habe es geschafft, habe so viel dokumentiert wie ich konnte. Habe meiner Seele abverlangt, hinzusehen, nun kann ich wahnsinnig werden. Ich packe das Buch weg, werde die Augen schließen und ein letztes Mal die Glocke läuten. Sollen sie mich holen kommen, das Leid, das ich sah, war zu viel für ein einzelnes Leben. Oh Götter, erhöht mich und nehmt mich auf.